ALKOHOLABHÄNGIGKEIT

WAS IST ALKOHOLABHÄNGIGKEIT UND WAS IST SCHÄDLICHER GEBRAUCH?

  • Menschen, die unter Alkoholabhängigkeit leiden, berichten von einem starken Drang (auch „Craving“ genannt) Alkohol zu trinken. Die Menge und der Beginn sowie das Beenden des Konsums sind für Betroffene sehr schwer, manchmal gar nicht zu kontrollieren. Hinzu kommen bei lang anhaltendem Konsum körperliche Entzugssymptome wie Zittern oder Übelkeit, die mit dem erneuten Trinken von Alkohol abklingen. Mit dem Alkoholkonsum geht eine Toleranzentwicklung einher. Dabei muss stetig mehr Alkohol getrunken werden, um die gewünschten Wirkungen hervorzurufen. Interessen und Sozialkontakte werden vernachlässigt, um sich vermehrt mit der Beschaffung und dem Konsum von Alkohol sowie der Erholung von den Folgen des Konsums zu beschäftigen. Menschen mit Alkoholabhängigkeit konsumieren weiterhin Alkohol, obwohl eindeutige körperliche Schäden auftreten (Leberprobleme, Verschlechterung der Gedächtnisleistung etc.).
  • Neben der Abhängigkeit bezeichnen die Begriffe Alkoholmissbrauch (auch schädlicher Gebrauch) und riskanter Konsum alkoholbezogene Probleme, bei denen noch nicht die Merkmale einer Abhängigkeit voll gegeben sind. Vom schädlichen Gebrauch wird dann gesprochen, wenn bereits körperliche oder psychische Schäden aufgrund des Trinkens entstanden sind. Zum Beispiel können Verpflichtungen bei der Arbeit nicht mehr eingehalten werden, es kommt zu Konflikten in zwischenmenschlichen Beziehungen oder es kommt zu Konsum in Situationen, die körperlich gefährlich werden können (Alkohol am Steuer etc.).
  • Von riskantem Konsum spricht man, wenn sich ein Trinkverhalten etabliert hat, mit dem besondere gesundheitliche und psychische Risiken einhergehen und bei dem die Trinkmenge über Grenzwerten eines unbedenklichen Konsums liegt. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) definiert folgende Grenzwerte für „unbedenklichen“ Alkoholkonsum: maximal 10-12 Gramm Alkohol pro Tag (0,25 Liter Bier oder 0,1 Liter Wein) bei Frauen und maximal 20-24 Gramm pro Tag bei Männern (0,5 Liter Bier oder 0,2 Liter Wein). Besonders steigt das Risiko einer körperlichen Schädigung beim sog. „Binge-Drinking“. Hierbei werden bei einer Trinkgelegenheit fünf (vier bei Frauen) oder mehr Gläser Alkohol zu sich genommen [Männer: ab 1,25 Liter Bier oder 0,6 Liter Wein; Frauen: ab 1,0 Liter Bier oder 0,5 Liter Wein].

Bei alkoholbezogenen Störungen kann das jeweilige Trinkmuster sehr unterschiedlich sein. Häufige Formen sind:

  • Konflikttrinken: Alkohol als Bewältigungsmöglichkeit von Konflikten.
  • Rauschtrinken: Es werden große Mengen bis zum Rausch getrunken (Kontrollverlust).
  • Spiegeltrinken: Regelmäßiger Konsum, um den Alkoholspiegel aufrecht zu erhalten, da sonst Entzugserscheinungen auftreten.
  • Periodisches Trinken: Phasen der Abstinenz oder des „normalen“ Konsums wechseln sich mit Phasen intensiven Alkoholkonsums ab.

Etwa 3% der erwachsenen Bevölkerung sind alkoholabhängig, weitere 3% betreiben Alkoholmissbrauch. Bei weiteren 12% liegt ein riskanter Konsum vor. Häufig sind Alkoholabhängige in internistischen und chirurgischen Kliniken, ohne dass ihre Erkrankung erkannt oder angesprochen wird.

MÖGLICHE FOLGESCHÄDEN EINER ALKOHOLABHÄNGIGKEIT (NACH LINDENMEYER, 2016)

WIE WIRD DIE DIAGNOSE (NACH ICD-10: F10) GESTELLT?

Schädlicher Gebrauch von Alkohol (F10.1)

  • Deutlicher Nachweis, dass der Substanzgebrauch verantwortlich ist für die körperlichen oder psychischen Probleme, einschließlich der eingeschränkten Urteilsfähigkeit oder des gestörten Verhaltens, das evtl. zur Behinderung oder zu negativen Konsequenzen in den zwischenmenschlichen Beziehungen geführt hat.
  • Die Art der Schädigung sollte klar bezeichnet werden können.
  • Das Gebrauchsmuster besteht mindestens seit einem Monat oder trat wiederholt in den letzten zwölf Monaten auf.

Alkoholabhängigkeit (F10.2)

  • Drei oder mehr der folgende Kriterien sollten zusammen mindestens einen Monat lang bestanden haben, falls Sie nur für eine kürzere Zeit gemeinsam aufgetreten sind, sollten Sie innerhalb von zwölf Monaten wiederholt bestanden haben.
  • (1) Ein starkes Verlangen oder eine Art Zwang, die Substanz zu konsumieren. (2) Verminderte Kontrolle über den Substanzgebrauch, d.h. über Beginn, Beendigung oder die Menge des Konsums, deutlich daran, das mehr von der Substanz konsumiert wird oder über einen längeren Zeitraum als geplant und an erfolglosen Versuchen oder dem anhaltenden Wunsch, den Substanzkonsum zu verringern oder zu kontrollieren. (3) Ein körperliches Entzugssyndrom, wenn die Substanz reduziert oder abgesetzt wird, mit den für die Substanz typischen Entzugssymptomen oder auch nachweisbar durch den Gebrauch derselben oder einer sehr ähnlichen Substanz, um Entzugssymptome zu mildern oder zu vermeiden. (4) Toleranzentwicklung gegenüber den Substanzeffekten. Für eine Intoxikation oder um den gewünschten Effekt zu erreichen, müssen größere Mengen der Substanz konsumiert werden, oder es treten bei Konsum derselben Menge deutlich geringere Effekte auf. (5) Einengung auf den Substanzgebrauch, deutlich an der Aufgabe oder Vernachlässigung anderer wichtiger Vergnügen oder Interessensbereiche wegen des Substanzgebrauchs; oder es wird viel Zeit darauf verwandt, die Substanz zu bekommen, zu konsumieren oder sich davon zu erholen. (6) Anhaltender Substanzgebrauch trotz eindeutiger schädlicher Folgen, deutlich an dem fortgesetzten Gebrauch, obwohl der betreffende sich über die Art und das Ausmaß des Schadens bewusst war oder hätte bewusst sein können.

  • Die Diagnose sollte nur durch einen erfahrenen Arzt oder Psychotherapeuten gestellt werden, der Sie beraten und in der Behandlung unterstützen kann. Bitte wenden Sie sich an einen Arzt oder Psychotherapeuten, sofern Sie den Verdacht haben, an einer Alkoholabhängigkeit zu leiden.
  • Zur Ergänzung des klinischen Eindrucks wird die Diagnostik durch Fragebögen wie beispielsweise MALT-S ergänzt.

WIE ENTSTEHT EINE ALKOHOLABHÄNGIGKEIT UND WAS HÄLT DIESE AUFRECHT?

  • Die Entwicklung eines zunehmend problematischen Alkoholkonsums bis hin zur Abhängigkeit erklärt sich wesentlich aus der Wirkung des Alkohols auf das „Belohnungssystem“ unseres Gehirns. Dabei ist besonders die Zwei-Phasen-Wirkung von Alkohol zu beachten. Die häufig als positiv erlebte sofortige Wirkung von Alkohol (z. B. positive Gefühle, Minderung negativer Gefühle, Entspannung) führt dazu, dass Alkohol als Bewältigungsmittel eingesetzt wird und die Motivation zum erneuten Trinken steigt. Die langfristigen negativen Folgen von häufigem Konsum (psychisch: negatives Selbstbild, Scham- und Schuldgefühle; körperlich: Toleranzsteigerung, Entzugserscheinungen; sozial: soziale Isolation, Probleme bei der Arbeit etc.) sind wieder ein Anlass dafür, Alkohol zu trinken. Die kurzfristig „positive“ Wirkung und die langfristig negativen Konsequenzen lassen einen Teufelskreis entstehen und fördern die Entstehung und Aufrechterhaltung einer Abhängigkeit.
  • Hinzu kommt mit der Regelmäßigkeit des Alkoholkonsums eine Gewöhnung und Automatisierung. Verschiedene Situationsmerkmale, die beim Konsum von Alkohol auftreten oder vorausgehen, werden mit dem Trinken verknüpft und gemeinsam abgespeichert. Wenn man z. B. Bekannte sieht, mit denen man häufig etwas trinken geht, oder wenn Alkoholgeruch in der Luft liegt, kann unbewusst der Konsumwunsch ausgelöst werden. Auch bestimmte Stimmungen („Ich fühle mich nicht gut“) und Gedanken (z. B. „Ich wäre bestimmt etwas ruhiger, wenn ich ein Bier trinken würde“), ein Durstgefühl oder Zittern können einen Konsum bewirken. Dieser Prozess automatisiert sich und kann oft nicht mehr willentlich gesteuert werden. Es bildet sich ein sogenanntes „Suchtgedächtnis“ (Verknüpfung der oben beschriebenen Reize mit Alkoholeinnahme und Belohnung) aus.

WIE ERFOLGT DIE BEHANDLUNG EINER ALKOHOLABHÄNGIGKEIT?

Je nach Schwere der Symptomatik, dem Vorhandensein körperlicher Entzugszeichen, motivationaler Ausgangslage kommen unterschiedliche ambulante und stationäre Behandlungsmaßnahmen zum Entzug und zur Entwöhnung in Frage, die passgenau aufeinander abgestimmt sein sollten und medizinische, psychologische und soziale Aspekte berücksichtigen. Innerhalb einer ambulanten Psychotherapie können folgende Ziele verfolgt werden:

  • Aufbau einer vertrauensvollen therapeutischen Arbeitsbeziehung
  • Diagnostische Klärung und Beratung zu suchtspezifischen Behandlungsmöglichkeiten
  • Motivierung zu einer Entzugs-, Entwöhnungsbehandlung und Selbsthilfegruppenbesuch
  • Etablierung einer dauerhaften zufriedenen Abstinenz vom Suchtmittel
  • Psychoedukation zur Störung und Entwicklung eines individuellen Krankheitsmodells
  • Förderung oder Stabilisierung der Abstinenzmotivation durch Motivationale Gesprächsführung und Vergegenwärtigung negativer Folgen des Konsums
  • Kognitive Umstrukturierung von Bagatellisierungstendenzen und verzerrten Erwartungen an den Konsum
  • Förderung der emotionalen Krankheitsakzeptanz (Abbau von Scham- und Schuldgefühlen), Emotionsfokussierte Verfahren, „Abschiedsbrief“ an das Suchtmittel, Konfrontation mit der Angehörigen-Sicht, Einholen sozialer Unterstützung
  • Rückfallprophylaxe: Selbstbeobachtung, Verhaltensanalysen, Klärung der Funktionalität der Suchtmitteleinnahme; Identifikation von Risikobedingungen und Alternativverhalten und -kognitionen bei Craving; „Notfallplan“
  • Verbesserung von Emotionsmanagement und -regulation: Skills-Training, achtsamkeitsbasierte Verfahren
  • Aufbau positiver Aktivitäten: Tages- und Wochenplan, Alltagstrukturierung, Reaktivierung von Ressourcen, Entwicklung von Genussfähigkeit ohne Suchtmittel
  • Problemlösetraining: Entwicklung und Stärkung von Fertigkeiten und Copingstrategien, Aufbau von Stressmanagementfähigkeiten
  • Erlernen von Entspannungsverfahren (PMR, AT)

LITERATUREMPFEHLUNGEN UND LESETIPPS

  • Barnowski-Geiser: Vater, Mutter, Sucht: wie erwachsene Kinder suchtkranker Eltern trotzdem ihr Glück finden.
  • Flassbeck: Ich will mein Leben zurück! Klett-Cotta.
  • Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen stellt eine Reihe von Broschüren und Informationsmaterialien bereit, die über Trinkmengen und Konsum von Alkohol informieren: www.dhs.de
  • Schreiber: Nüchtern – über das Trinken und das Glück, Suhrkamp
  • Lindenmeyer: Lieber schlau als blau, Beltz PVU.
  • Schneider: Die Suchtfibel, Schneider Verlag.

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