ESSSTÖRUNG

WAS IST EINE ESSSTÖRUNG?

  • Essstörungen sind von außen häufig schwer zu erkennen. Aus Scham oder Angst vor negativer Bewertung versuchen viele Betroffene ihr Essverhalten geheim zu halten bzw. ihr Untergewicht durch weite Kleidung zu verbergen.
  • Essstörungen zeichnen sich unter anderem durch abnormes Essverhalten aus. Die Betroffenen halten meist strikte Diäten ein, um ihr Gewicht zu reduzieren. Ein Teil der Patienten neigt zu übermäßigen „Essattacken“, die als Kontrollverlust erlebt und von gegenregulatorischen Maßnahmen (z.B. Erbrechen, Abführmittel, exzessiver Sport) gefolgt werden. Grund für die Gegenregulation ist die starke Angst vor dem „Dick–Werden“. Viele Betroffene nehmen sich verzerrt wahr. Trotz normal- oder auch untergewichtigem Zustand erleben sie sich als „zu dick“. In Folge einer langfristigen Mangelernährung kommt es zu körperlichen Schäden. Erfolgt keine Gewichtszunahme, können auch bleibende Schäden entstehen.
  • Es gibt verschiedene Formen von Essstörungen. Die zwei häufigsten Formen sind die Anorexia Nervosa („Magersucht“) und die Bulimia Nervosa („Ess-Brech-Sucht“).

WIE WIRD DIE DIAGNOSE „ESSSTÖRUNG“ (NACH ICD-10: F50) GESTELLT?

Anorexia nervosa (F50.0)

  • Gewichtsverlust oder bei Kindern fehlende Gewichtszunahme. Dies führt zu einem Körpergewicht von mindestens 15% unter dem normalen oder dem für das Alter und die Körpergröße erwarteten Gewicht.
  • Der Gewichtsverlust ist selbst herbeigeführt durch Vermeidung von „fettmachenden“ Speisen.
  • Selbstwahrnehmung als “zu fett“ verbunden mit einer sich aufdrängenden Furcht, zu dick zu werden. Die Betroffenen legen für sich selbst eine sehr niedrige Gewichtsschwelle fest.
  • Umfassende endokrine Störung der Achse Hypothalamus-Hypophyse-Gonaden; sie manifestiert sich bei Frauen als Ammenorrhoe, bei Männern als Interessenverlust an Sexualität und Potenzverlust. Eine Ausnahme stellt das Persistieren vaginaler Blutungen bei anorektischen Frauen dar, die eine Hormonsubstitution erhalten (meist als kontrazeptive Medikation).

Bulimia nervosa (F50.2)

  • Häufige Episoden von Fressattacken (in einem Zeitraum von drei Monaten mindestens zweimal pro Woche) bei denen große Mengen an Nahrung in sehr kurzer Zeit konsumiert werden.
  • Andauernde Beschäftigung mit dem Essen, eine unwiderstehliche Gier oder Zwang zu essen.
  • Die Patienten versuchen, der Gewichtszunahme durch die Nahrung mit einer oder mehreren der folgenden Verhaltensweisen entgegenzusteuern: (1) selbst induziertes Erbrechen, (2) Missbrauch von Abführmittel, (3) zeitweilige Hungerperioden, (4) Gebrauch von Appetitzügen, Schilddrüsenpräparaten oder Diuretika. Wenn die Bulimie bei Diabetikern auftritt, kann es zu einer Vernachlässigung der Insulinbehandlung kommen.
  • Selbstwahrnehmung als „zu fett“, mit einer sich aufdrängenden Furcht, zu dick zu werden (was meist zu Untergewicht führt).

  • Die Diagnose sollte nur durch einen erfahrenen Arzt oder Psychotherapeuten gestellt werden, der Sie beraten und in der Behandlung unterstützen kann. Bitte wenden Sie sich an einen Arzt oder Psychotherapeuten, sofern Sie den Verdacht haben, an einer Essstörung zu leiden.
  • Zur Ergänzung des klinischen Eindrucks wird die Diagnostik durch Fragebögen wie beispielsweise der Eating Disorder Examination Questionnaire (EDE-Q), das Eating Disorder Inventory-2 (EDI-2) und das Strukturierte Inventar für Anorektische und Bulimische Essstörungen (SIAB) ergänzt.

WIE ENTSTEHT EINE ESSSTÖRUNG?

  • Bei der Entstehung von Essstörungen spielen verschiedene Ursachen eine Rolle:
  • Der genetische Einfluss wird auf 50% geschätzt. Zudem lassen sich bei den Patienten neurobiologische Veränderungen feststellen (z.B. konnten Störungen in dem System der Neurotransmitter, Neuropeptide, Neurotrophine und Sexualhormone nachgewiesen werden). Besonders häufig betroffen sind junge Frauen, die in der westlichen Gesellschaft leben (v.a. soziale Schicht mit höherer Bildung). Psychische Störungen der Eltern und negative Lebensereignisse (z.B. sexueller Missbrauch) stellen weitere Risikofaktoren dar. Auch problematische Grundeinstellungen in der Familie (z.B. Perfektionismus und Sich-Nicht-Angenommen-Fühlen durch die Eltern) sowie eine geringe soziale Unterstützung erhöhen das Risiko, an einer Essstörung zu erkranken.

WIE WIRD EINE ESSSTÖRUNG AUFRECHTERHALTEN?

  • Das Diätverhalten und restriktive Essen trägt zur Aufrechterhaltung der Symptomatik bei. Das Gefühl, Kontrolle zu haben und positive „Erfolgserlebnisse“ beim Abnehmen führen dazu, dass das Selbstwertgefühl kurzfristig gesteigert wird. Das Verhalten wird dadurch verstärkt und weiter aufrechterhalten. Auf Dauer kann die Selbstkontrolle zur einzigen Quelle für das Selbstwertgefühl oder die eigene Identität werden. Das Diätverhalten führt häufig zu starken Hungergefühlen.
  • Bei einem Teil der Patienten (v.a. Bulimia Nervosa) führt dieser Zustand von Mangelernährung zu „Fressattacken“. Nach dem Nahrungsverzehr fühlen sich die Betroffenen schlecht, so als ob sie versagt hätten. Um eine gefürchtete Gewichtzunahme zu verhindern, wirken viele Patienten dem „Fressanfall“ durch Erbrechen, Abführmittel, exzessiven Sport etc. entgegen. Kurzfristig lindert dies die Angst vor der Gewichtszunahme. Es folgt meist wieder eine Diätphase (Teufelskreis). Eine Ausnahme stellt die Binge-Eating-Disorder dar. Hier erfolgen nach den „Fressattacken“ keine kompensatorischen Maßnahmen. Die Betroffenen sind i.d.R. übergewichtig.
  • Heißhungeranfälle dienen anfangs der Erleichterung (z.B. ist das Hungergefühl gestillt). Nach einer Weile generalisiert sich die Wirkung und die Heißhungeranfälle haben eine allgemeine emotions- und spannungsregulierende Wirkung. Viele Patienten haben „Fressanfälle als Folge von unangenehmen Gefühlen wie Langeweile, Wut und Trauer. Durch den erlebten Kontrollverlust kommt es langfristig zu einer Schwächung des Selbstwertgefühls.
  • Die ständige kognitive Beschäftigung mit dem Essen, der Gewichtsreduktion, oder den „Fressattacken“ führt dazu, dass es schwer ist, aus diesem Gedankenkreislauf auszubrechen. Die Beschäftigung mit dem Essen wird zum zentralen Lebensinhalt.

Entstehungsmodell der Anorexia Nervosa (nach Vocks&Legenbauer, 2005):

Entstehungsmodell der Bulimia Nervosa (nach Vocks&Legenbauer, 2005):

WIE ERFOLGT DIE BEHANDLUNG EINER ESSSTÖRUNG?

  • Psychotherapie kann im stationären und ambulanten Bereich erfolgen. Bei stark untergewichtigen Patienten empfiehlt sich meist eine stationäre Therapie, da hier bessere Überwachungsmöglichkeiten, ein kontinuierliches Hilfsangebot, ein strukturierter Alltag, Begleitung bei den Mahlzeiten und konkrete Vorgabe von Essensmengen gegeben sind. In der Klinik wird eine Gewichtszunahme von 500-1000g pro Woche angestrebt. Da die Gefahr der Hospitalisierung besteht, empfiehlt man bei geringerer körperlicher Gefährdung eine ambulante Therapie. Hier erfolgt die Gewichtszunahme langsamer (200-500 g pro Woche). Die für gewöhnlich einmal pro Woche stattfindende Therapiesitzung sollte durch regelmäßige körperliche Kontrollen begleitet werden. Bei jugendlichen Patienten empfiehlt sich der Einbezug der Familie.
  • In der Anfangsphase der Therapie geht es um Aufbau von Motivation zur Gewichtszunahme und Förderung von gesundem Essverhalten. Ziel ist im Idealfall das Erreichen eines Normalgewichts. Der Patient wird über normale Essensmengen und körperliche Folgen der Mangelernährung aufgeklärt. Er lernt sein Essverhalten selbst zu beobachten, zu analysieren und die Gründe für die Entstehung der Essstörung nachzuvollziehen. Gemeinsam mit dem Therapeuten wird eine gesunde Mahlzeitenstruktur etabliert. Hierbei gilt, dass alle Lebensmittel miteinbezogen werden sollten (kein Verbot von z.B. zucker- oder fetthaltigen Lebensmitteln). Einstellungen, welche die Essstörung begünstigen, werden gemeinsam hinterfragt und gegebenenfalls modifiziert. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper, sowie mit dem selbst definierten Schlankheitsideal sind weitere Inhalte der Therapie. Der Patient soll lernen, seinen Selbstwert nicht nur auf Figur und Gewicht zu stützen und der Kontrolle seiner Nahrungsaufnahme weniger Wichtigkeit beizumessen. In der späteren Therapiephase werden Probleme aus der aktuellen Lebenssituation des Patienten aufgedeckt. Es geht darum, Gefühle zuzulassen und einen angemessenen Umgang mit den eigenen Gefühlen zu erlernen. Soziale Kompetenz- und Problemlösetrainings können helfen, den Umgang mit Problemen zu verbessern. Oft geht es auch um die Förderung von Genussfähigkeit und Selbstfürsorge. Die Ressourcen des Patienten sollen aktiviert werden, mit dem Ziel mehr positive Aktivitäten in den Alltag zu etablieren. Am Ende einer Therapie werden im Sinne der Rückfallprophylaxe mögliche zukünftige Krisensituationen antizipiert. Ein Notfallplan zum richtigen Umgang mit Rückfällen wird erarbeitet.

LITERATUREMPFEHLUNGEN UND LESETIPPS

  • Brunhoeber: Keine Angst vorm Spiegel, Sillwasser-Verlag
  • Ettrich & Pfeiffer: Anorexie und Bulimie: zwischen Todes-Sehnsucht und Lebens-Hunger, Urban & Fischer.
  • Fairburn: Ess-Attacken stoppen: ein Selbsthilfeprogramm, Huber.
  • Fehér: Dann bin ich eben weg: Geschichte einer Magersucht, cbt.
  • Franke: Wege aus dem goldenen Käfig, Beltz.
  • Guldenschuh: Wege aus der Essstörung: 56 Frauen berichten, Studien Verlag.
  • Leibl & Leibl: Wenn die Seele hungert, Herder.

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